U-Verlagerung Rotbutt – Zwischen Schieferbergbau und Rüstungsindustrie

Die Geschichte des Schieferbergbaus im Thüringer Schiefergebirge geht bis in das 13. Jahrhundert zurück. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wird in der Region  Schiefer abgebaut, der als Dach-, Wand- und Tafelmaterial Verwendung findet. Der Unternehmer Oertel übernimmt Brüche, die später nach ihm benannt werden. Im zweiten Weltkrieg werden die entstandenen Stollen und Räume für das Rüstungswerk Vorwerk-Mitte genutzt.

Im Oertelsbruch fanden die Triebwerktests der A4/V2-Rakete statt. Die Anlagen für die Flüssigsauerstoff- und Stickstoffproduktion befanden sich Untertage. Nach Kriegsende wurde der Schieferbruch einige Zeit durch die Alliierten für weitere Tests nachgenutzt. Danach wurde hier bis zum Jahr 2009 weiter Schiefer abgebaut. Heute staut sich das Wasser im ehemaligen Bruch bereits über mehrere Meter. Von den ehemaligen Testständen sind nur noch kleine Mauerreste zu erkennen.

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurden zahlreiche Produktionsstätten in den Untergrund verlagert, um die Serienproduktion der V2-Rakete aufrecht zu erhalten und sie vor Bombenangriffen zu schützen.

So übernahmen die Nationalsozialisten 1943 den ehemaligen Schieferbruch bei Lehesten, den der Unternehmer Ernst Oertel betrieb. Unter dem Decknamen "Rotbutt" wurde dieser ab September zur U-Verlagerung ausgebaut.

Zu Beginn der Umbauphase waren bereits durch den vorherigen Schieferbruch einige Kilometer Stollen und zahlreiche unterirdische Abbauräume vorhanden.

Die vorhandenen Abbauräume wurden zu Produktionshallen auf eine Fläche von über 600 qm ausgebaut und zusätzliche Verbindungsstollen angelegt.

Einige Stollen wurden auf eine Höhe von 4 Metern erweitert und eine einzementierte breitspurige Eisenbahnlinie verlegt. Die Hallen zur Produktion des flüssigen Sauerstoffs waren teilweise bis zu 30 Meter hoch. Der Boden war zementiert und die Wände nur mit Kalkfarbe geweißt. Die Decken der unterirdischen Hallen wurden mit Stahlrahmen und Torpedonetzen fixiert, um die Maschinen, Aggregate und technischen Anlagen vor Steinschlag zu schützen.

Die U-Verlagerung Rotbutt diente der Produktion von Stickstoff und flüssigem Sauerstoff und dem Test der Triebwerke der V2-Rakete. Die fertigen Triebwerke der V2 kamen aus Mittelbau „DORA“ und wurden im Schieferbruch auf ihre maximale Leistung getestet. Ungefähr 10% der in „DORA“ hergestellten Triebwerke wurden geprüft und diverse Probeläufe unternommen. Dazu wurden die Triebwerke auf eigens gefertigte Stahlwagen montiert und mit einem Gleissystem zu den Prüfständen der Testanlage gezogen. Für die Höchstlastprüfung der Triebwerke wurden zwei Prüfstände in der großen Abbaugrube des Schieferbruchs errichtet. Die Prüfstände waren aus massivem Beton und hatten eine Höhe von über 4 Metern. Durch eine Öffnung im Boden konnte die Hitze der Triebwerke abgeleitet werden. Die Prüfstände mussten zusätzlich mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden.

Für die Produktion des flüssigen Sauerstoffs und für die Triebwerktests wurden riesige Wassermengen benötigt, die über ein ausgeklügeltes Versorgungssystem von umliegenden Flüssen, Bächen und Teichen abgeleitet und über den Kühlwasserturm in die Produktionshallen und zum Testgelände eingeleitet wurden. Es entstand ein weitläufiges Wasserversorgungssystem.

Der von den Häftlingen hergestellte Sauerstoff wurde unterirdisch in großen Tanks gelagert und während der Tests an die Triebwerke angeschlossen.

In den Hallen wurden 12 Kompressoren für die Herstellung von flüssigem Sauerstoff sowie 4 Kompressoren zur Erzeugung von flüssigem Stickstoff installiert.

Für den Testlauf eines Triebwerks benötigte man über 4 Tonnen Methanol. So gab es im Berg mehrere abgetrennte Kammern, in denen insgesamt über 80.000 Tonnen des hochentzündlichen Methanols lagerten.

 
Nach der Einnahme der Anlage durch US-Truppen
nutzen diese den Oertelsbruch mehrfach für Tests von Raketentriebwerken unter Beteiligung amerikanischer Fachkräfte. Kurz vor Übergabe des Gebietes an die Rote Armee wird ein Teil der Spezialausrüstung demontiert, einige deutsche Fachkräfte und Angehörige der Betriebsleitung setzen sich in die westlichen Besatzungszonen ab. Im Juli 1945 übernehmen sowjetische Truppen die Reste des Rüstungswerkes. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland nutzt neben anderen Rüstungsstandorten auch die Triebwerktestanlage im Ortelsbruch (Bezeichnung „ZW 8 Lehesten“). Bis zum Frühjahr 1946 finden auf den alten Brennständen sowie einem neu errichteten dritten Prüfstand eine Reihe von Tests statt. Zeitweilig wird eine komplette A4-Rakete montiert und getestet.

Ab April 1946 beginnt die Demontage der unterirdischen Anlagen im Oertelsbruch, die im Oktober weitestgehend abgeschlossen ist. Überraschend wird am 24./ 25. Oktober 1946 ein Teil des technischen Fachpersonals auf sowjetischen Befehl mit ihren Familien in die Sowjetunion abtransportiert, einige dieser Familien kehren erst nach neun Jahren zurück. Die vor Ort verbliebenen deutschen Mitarbeiter werden im November 1946 zum größten Teil entlassen. Zwischen November 1947 und Januar 1948 wird eine große Zahl der noch vor Ort befindlichen Triebwerke gesprengt. Im März 1948 erfolgt auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration die Zerstörung der unter- und oberirdischen Rüstungsanlagen durch Sprengung.